Der Kitsch, der von dir übrig bleibt


Jetzt sitzt du am Tisch in der Küche und schreibst unsere Liebesgeschichte. Du schreibst auf einer Schreibmaschine, du sagst, das sei romantisch, du sagst, das sei das Einzige. Es ist still, du hörst keine Musik, außerdem ist es schon spät. Natürlich bist du laut, weil du hämmerst. Dein Gesicht ist nicht erstarrt, manchmal lachst du und manchmal schaust du aus dem Fenster. Doch meistens bist du ein Entschlossener, der tut, was er tun muss. Wie in den Western. Du behaust einen Stein. Neben dir steht nur noch ein Glas Limonade. Und die tiefschwarze Schokolade, die ich so sorgfältig vor dir versteckt hatte.

Ich liege auf dem Bett, schräg und verdreht, nur, um dich durch die Türspalte hindurch erkennen zu können, im einzigen Winkel, in dem das möglich ist. Ich beobachte dich. Habe im Auge, dass nichts passiert, was nicht passieren darf. Beschütze dich. Achte darauf, dass die Tastatur nicht vom Wortrhythmus abweicht. Unwirkliche Geräusche. Es wird immer später und wir beide leisten unsern Augenlidern Widerstand. Dann schlafe ich doch bald ein, aber ich merke, wie deine Arme mich irgendwann verschlucken. Morgens wache ich allein auf. Ich setze mich an den Tisch in der Küche, vor den kleinen Stapel Blättern, den du übrig lässt. Kaffee, was auch sonst.

Ich weiß nicht, wer du bist. Ich dachte, ich weiß es. Aber als die Gefühle, diese Kleinkriminellen, kamen, mich überfielen, mich hinterhältig ausraubten, zersplittertest du. Du warst nichts. Und alles. Gleichzeitig. Grenzenlos. Alles und nichts, wofür ich dich gehalten habe. Jetzt halte ich dich einfach nicht mehr. Nur ab und zu / von Zeit zu Zeit im Arm und dann fühlt es sich richtig an, nicht mehr weiter zu wissen.

Wir sahen uns Dienstag, wir sahen uns Donnerstag. Und in der Nacht zu Sonntag auch. Ich hatte mir die Reihenfolge und den Zeitpunkt dieser Ereignisse nie gemerkt, ich musste sie auswendig lernen. Dienstagnachmittag im Cafe, du sahst mich an, aber ich saß gegenüber von jemandem, den ich küssen wollte und beachtete dich nicht. Donnerstagvormittag in der Bibliothek, an einem guten Regal. Gefüllt, einzig und allein mit den Schriftstellern, die man um acht oder um sieben oder um vierzehn Uhr oder wann auch immer tot gefunden hat, einzig und allein mit denen, die sich umgebracht hatten. Hemingway natürlich und Foster Wallace auch irgendwo, Capote hatten sie einfach dazugestellt. Und du? Du strandest, von irgendeiner Sehnsucht getrieben, vor diesem Regal. Und du? Du nahmst keine Notiz, aber die richtigen Bücher mit nach Hause.

(Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen uns beiden. Wir sprechen zwar dieselben Worte aus, vielleicht sogar in ähnlichen Tonfällen, aber wir sagen unterschiedliche Dinge. Du sagst: „Pass auf dich auf.“ Und es ist nur eine Abkürzung von: „Ich passe auf dich auf.“ Ich sage: „Pass auf dich auf“, in Wahrheit aber soll es bedeuten: „Pass auf mich auf.“)

Samstagabend war ich tanzen gewesen und es tat gut. Irgendwo dazwischen, between the bars, erkannte ich dich wieder. Ein Planet, um den Mondmädchen kreisten.

Und jetzt gehst du morgens aus dem Haus, eine Mütze reitet auf dir, sie sieht komisch dabei aus. Der Kitsch, den du hier lässt, trägt Sätze als Namen, zum Beispiel: „Jede Liebesgeschichte ist eine traurige Geschichte.“ Auf den Blättern, die auf dem Küchentisch liegen, sind schon wieder zu viele Absätze. Du könntest es langsam begreifen, dass nicht jedes Wort ein Gewehrschuss ist, dem eine Runde Leere folgen muss. Ich rufe eine Freundin an, wir reden über das Wetter, wer mit wem, die Arbeit. Zum Abschied will ich ihr sagen, dass sie nur sehen solle, bald wäre ich ein loses Gebilde aus gespielter Romantik, bald wäre ich verloren.

11 Kommentare:

  1. voulez-vous?13/11/09

    "there's nothing left to say.."

    wobei, für ein wow reicht es noch. obwohl auch das nicht ausdrückt, was ich sagen will

    vielleicht verstehst du das

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  2. Ich suche nach Bewusstsein, und du?

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  3. Anonym27/12/09

    wunderschön
    schlicht und einfach
    gut

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  4. iwouldprefernotto9/1/10

    Um Sechuhrzweiundvierzig wusste ich genug, ich zog meinen Mantel über die Schulter, wir schrieben nun ein anderes Jahr, ich habe mich die ganze Nacht darauf vorbereitet, es galt alsbald vor die Tür zu treten, die Überreste eines ambivalenten Zeitenwechsels zu bestaunen, den Geruch der Überlebenden einzuatmen, denen es so wichtig schien, Überresten Überresten gleichzusetzen, während undurchsichtige Schwaden verdunstenden Alkohols über ihre Köpfe in menschenferne Höhen stiegen. Darauf wurden sie nicht aufmerksam, es ist doch selbstverständlich.
    Mir ist schlecht, ich vertrage die neue Zeit nicht.

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  5. fesselnd.
    verwirrt und doch so eindeutig klar.
    du hast echt talent!

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  6. ... ohne Worte, du hast genug gesagt. Danke, dass ich deinen Text lesen durfte.

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  7. Anonym2/2/10

    Noch nie habe ich etwas so wundervolles gelesen- so geheimnisvoll, klar und doch unklar. wow. Ich weiß nicht einmal, was ich wirklich sagen soll. Diese Großartigkeit ist nicht von dieser Welt.

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  8. Anonym12/2/10

    gut. bedrückend aber wahr.

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  9. der ist gut.

    Du behaust einen Stein. Neben dir steht nur noch ein Glas Limonade.

    ...ist meine lieblingsstelle.

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  10. PrinzessinOmikron29/10/10

    Danke.

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  11. Anonym12/3/12

    Und dieser eine Abschnitt beschreibt alles nur zu gut.
    Danke

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